01.07.2014 – Rentenpolitik
Flexible Rentenübergänge für alle
Wahlmöglichkeiten beim Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand – das möchten mehr als 80 Prozent der Menschen in Deutschland. Tatsächlich sind sie aber nur für wenige Realität. Individuellen Wünschen nach einem frühen Ausstieg aus dem Beruf oder einer Verringerung der Arbeitsbelastung stehen oft finanzielle Sorgen oder unflexible Arbeitszeitmodelle gegenüber. Doch gerade vor dem Hintergrund einer verlängerten Lebensarbeitszeit werden flexible Wege in die Rente immer wichtiger. Dies gilt besonders für diejenigen, die in ihrem Beruf großen Belastungen ausgesetzt sind.Regierung zeigt Unverständnis
Den Problemen dieser Menschen gegenüber zeigt sich die Bundesregierung blind. Anstatt nach individuellen Lösungen zu suchen, schickt die Regierung pauschal eine Gruppe langjährig versicherter Menschen aus einigen wenigen Jahrgängen bereits mit 63 Jahren in Rente. Ob sie noch arbeiten können oder wollen, spielt keine Rolle. Im Rahmen eines öffentlichen Fachgespräches haben wir Maßnahmen für den flexiblen Rentenübergang diskutiert. Im Gespräch mit Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft und der Praxis ging es insbesondere um die konzeptionelle Weiterentwicklung der Teilrente sowie um die praktische Umsetzbarkeit. Wer ja zur Rente mit 67 sagt, muss sich ernsthaft mit den Problemen einer verlängerten Lebensarbeitszeit auseinandersetzen, so die Botschaft des rentenpolitischen Sprechers Markus Kurth. Die grüne Bundestagsfraktion setzt in der jetzigen Diskussion einen klaren Schwerpunkt auf die Zeit vor Erreichen der Regelaltersgrenze. Die Debatte um die sogenannte „Flexi-Rente“ für die Zeit nach dem 65sten beziehungsweise 67sten Lebensjahr, wie sie von Vertretern der großen Koalition gefordert wird, sei vor dem Hintergrund einer noch immer zu geringen Erwerbsbeteiligung von Älteren überflüssig. Auch Dr. Martin Brussig von der Universität Duisburg-Essen sieht es als eine zentrale Herausforderung an, längere Erwerbsphasen zu ermöglichen. Zwar sei die Erwerbsbeteiligung Älterer in allen Bereichen gestiegen. Dennoch erfolgt der Erwerbsaustritt sehr häufig vor dem eigentlichen Rentenzugang. Hierbei ist die Spannbreite von Beruf zu Beruf allerdings sehr hoch. Die Verbesserung der Wahloptionen für den flexiblen Rentenübergang für die besonders belasteten Beschäftigten sei dringend notwendig, allerdings fehle es bislang an einer geeigneten Definition für diesen Personenkreis beziehungsweise diese Berufe. Norbert Fröhler, ebenfalls von der Universität Duisburg-Essen, wies in seinem Beitrag darauf hin, dass die Altersteilzeit von allen Instrumenten des flexiblen Übergangs das am häufigsten angewandte ist. Er hält es für möglich und nötig, die Teilrente attraktiver zu machen. Allerdings bevorzugen Beschäftigte und auch Arbeitgeber zurzeit einen vorzeitigen und vollen Rentenbezug. Darum müsse bedacht werden, in welchem sozialpolitischen Umfeld die Teilrente weiterentwickelt werde. Neue Möglichkeiten der Kombination aus Teilzeit und Teilrente sollen ArbeitnehmerInnen in besonders belastenden Berufen länger im Arbeitsleben halten. Prof. Dr. Sigrid Leitner von der Fachhochschule Köln wies darauf, dass dieser Vorschlag unter Umständen zu Benachteiligungen gegenüber Frauen führen könne. Würden etwa die Belastungen aus Familienarbeit beim Zugang in eine solche Rente keine Rolle spielen, könnten Frauen nicht gleichermaßen profitieren. Viele Frauen verrichten auch außerhalb des Erwerbslebens – etwa in der Pflege Angehöriger – harte körperliche Arbeit. Dies müsse bei einer Reform der Teilrente bedacht werden. Allerdings arbeiten 50 Prozent der Frauen bereits heute schon in Teilzeit. Für diese Frauen sei die Teilrente schon aus diesem Grund keine Option. Dr. Thomas Hurlebaus vom Universitätsklinikum Dresden läutete die zweite Runde ein und steuerte seine Perspektive aus der betrieblichen Praxis bei. Er hält echte Teilzeit, also eine wöchentliche Verkürzung der Arbeitszeit, für eine sinnvolle Möglichkeit, um Beschäftigte länger im Betrieb zu halten. Das Konzept der Teilrente werde von den Beschäftigten bislang nicht angenommen. Daher begrüße er die aktuelle Diskussion um eine Weiterentwicklung der Teilrente. Weil aber viele Beschäftigte im Gesundheitswesen ein eher geringes Einkommen aufweisen würden, müsse es in Kombination mit der Teilrente weitere Möglichkeiten der sozialen Absicherung geben, so Hurlebaus. Die geringe Akzeptanz der Teilrente läge aber hauptsächlich an der bisher größeren Attraktivität der Altersteilzeit. Franz Prebeck von der Prebeck GmbH sowie von der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz sieht es als eine der zentralen unternehmerischen Herausforderungen an, die Beschäftigten so lang wie möglich im Unternehmen zu halten. Dies gelte insbesondere für die kleinen und mittleren Betriebe. Auch seiner Meinung nach kann echte Teilzeit zu einer Entlastung von Beschäftigtem im höheren Lebensalter leisten. Leider hätten dies aber viele seiner Kolleginnen und Kollegen noch nicht verstanden. Ähnliches gilt für den flexiblen Rentenübergang im öffentlichen Dienst, so Dr. Judith Kerschbaumer von der Ver.di-Bundesverwaltung. Für die Beschäftigten sei weiterhin die Altersteilzeit am interessantesten – auch aus materiellen Gründen. Die Teilrente ist nach Ansicht von Dr. Kerschbaumer insbesondere aus drei Gründen problematisch: die Zuverdienst-Grenzen seien zu starr, der Zeitpunkt der Inanspruchnahme mit 63 Jahren zu hoch sowie – als wichtigster Grund – die Abschläge auf die Teilrente für viele zu hoch. Hier brauche es Vereinfachungen. Bei der Höhe der Abschläge nahm Frau Dr. Kerschbaumer die Arbeitgeber in der Pflicht, entsprechende tarifliche Lösungen anzubieten. Fazit: Eine attraktivere Teilrente kann ein wichtiges Instrument für einen flexiblen Übergang in die Rente darstellen. Eine Neuregelung muss aus grüner Sicht so gestaltet werden, dass Frauen nicht von Vornherein vom Zugang ausgeschlossen sind, etwa weil belastende Familienarbeit nicht berücksichtigt wird. Auch Beschäftigten in besonders belastenden Berufen mit kleinen Einkommen wollen wir einen gleitenden Übergang in die Rente ermöglichen. Dafür muss über betriebliche, tarifliche und sozialstaatliche Lösungen nachgedacht werden.