Sachverständige bemängeln Vernachlässigung der Reichtumsberichterstattung und fordern Ermittlung der Kosten von Armut und sozialer Ausgrenzung.
Am Montag, den 12.12.2011, fand eine öffentliche Anhörung im Arbeits- und Sozialausschuss zu zwei Anträgen statt, die sich mit dem 4. Armuts- und Reichtumsbericht (ARB) auseinandersetzen.
Der Armuts- und Reichtumsbericht wurde von der damaligen rot-grünen Bundesregierung eingeführt mit dem Ziel, das Ausmaß und die Dimensionen von Armut und Reichtum in der Gesellschaft darzustellen. Der vierte Armuts- und Reichtumsbericht wird voraussichtlich Mitte 2012 erscheinen. Die Anhörung im Arbeits- und Sozialausschuss setzte sich mit der Konzeption des vierten ARB auseinander, wies auf bestehende Forschungslücken hin und gab Anregungen für den fünften Bericht im Jahr 2016.
Im Gegensatz zu den vorhergehenden Berichten soll nach Vorstellung der schwarz-gelben Bundesregierung der vierte ARB stärker die Armutsdynamik in den Blick nehmen. Hierfür wird der Bericht anhand der „Lebensphasen“ gegliedert und ein Fokus auf die Überwindungsphasen kritischer Lebensphasen gelegt. Das bisherige Lebenslagenkonzept tritt dahinter zurück. Zudem sollen subjektive Einschätzungen die Berichterstattung ergänzen, um ein besseres Bild über das individuelle Empfinden von Armut zu erhalten. Stellungnahmen, wie die des Diakonischen Bundesverbandes, unterstützten diese Ansätze, warnten jedoch davor, „den Blickwinkel aber nicht auf individuelle Bewältigungsmöglichkeiten von Armut“ zu verengen.
Alle Sachverständigen waren sich einig darüber, den Blick auf Armut und soziale Ausgrenzung nicht auf nur einen Faktor wie etwa die Armutsrisikoquote zu begrenzen. So mahnte etwa der Sachverständige Dr. Grabka, dass „eine Fixierung nur auf einen einzelnen Indikator vollkommen unausreichend“ sei. Vielmehr solle man „mehrere, unterschiedlichste Indikatoren heranführen, um gerade spezielle Problemgruppen klarer zu Identifizieren“.
Eindringlich appellierten die Sachverständigen, den ARB nicht als Selbstzweck zu betrachten, sondern als Ansatz für die Politik, aus den vorliegenden Daten Konzepte abzuleiten und Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Sachverständige Dr. Becker erachtete es als sinnvoll, „sich direkt quantitativ nachvollziehbare Ziele zu setzen“.
Die beiden Sachverständigen Dr. Martens und Dr. Becker sprachen sich darüber hinaus dafür aus, die Kosten von Armut und sozialer Ausgrenzung stärker in den Fokus zu nehmen. So müssten nach Ansicht von Dr. Irene Becker etwa die verpassten Bildungschancen, fehlende Erwerbsbeteiligung und höhere Kriminalität mit berücksichtigt werden. Dies könne in einer gesamtwirtschaftlichen Begutachtung abgebildet werden, die nicht nur die Exporterfolge der Wirtschaft beinhalten, sondern auch die verborgenen Kosten darstellten solle, so der Sachverständige Dr. Martens.
Dass die Reichtumsberichterstattung bislang vernachlässigt wurde, machte sodann Dr. Stefan Bach deutlich. Er war der Meinung, dass es im letzten Jahrzehnt zu einer „bemerkenswerten Umverteilung von den Arbeitseinkommen zu den Unternehmens- und Vermögenseinkommen“ kam. Insbesondere die Einkommens- und Vermögenskonzentration beim reichsten 1 Prozent der Bevölkerung habe in den letzten Jahren spürbar zugenommen. Allerdings, so Dr. Bach, gebe es zur Verteilung der Einkommen und Vermögen des obersten Perzentils keine genauen Informationen. Um die Informationslücke zu schließen, schlug Dr. Bach daher vor, Informationen aus den Steuerstatistiken - insbesondere der Einkommenssteuer, Unternehmenssteuer sowie zur steuerlichen Gewinnermittlung - zeitnah aufzubereiten. Außerdem wäre es seiner Ansicht nach hilfreich, 1. bei der Einkommensverteilungsrechnung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die Unternehmenseinkommen detaillierter aufzubereiten sowie 2. die Schätzverfahren zur Top-Einkommens- und Vermögenskonzentration weiterzuentwickeln.
Das endgültige Wortprotokoll der Anhörung wird in den kommenden Wochen vorliegen.
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