Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen stärken
Der Bundestag debattiert heute sechs Anträge aus dem Bereich Behindertenpolitik. Die Grüne Bundestagsfraktion hat einen Antrag zur Weiterentwicklung des SGB IX eingebracht.
Vor gut zehn Jahren trat unter der rot-grünen Bundesregierung das Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) in Kraft. Es brachte für viele Menschen mit Behinderung Verbesserungen bei der Gewährung von Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe. Viele Anträge werden deutlich schneller bearbeitet, und zahlreiche Menschen mit Behinderung profitieren von den neu geschaffenen Regelungen, die die Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger festschreiben.
Dennoch erfahren Verbände und Abgeordnete von zahlreichen Problemen, die vor allem darauf zurückzuführen sind, dass eine nennenswerte Zahl von Rehabilitationsträger sich nicht an das Gesetz hält. Antragstellerinnen und Antragsteller erhalten von verschiedenen Trägern die Antwort, das SGB IX gelte für den entsprechenden Träger nicht. Die neuen Leistungsformen des Persönlichen Budgets und der Frühförderung werden nur in verhältnismäßig wenigen Fällen so gewährt, wie es sich der Gesetzgeber vorgestellt hat. Viele behinderte Eltern erhalten Elternassistenz nur auf dem Klageweg. Schließlich muss auch festgestellt werden, dass die im Gesetz vorgesehenen Instrumente zur Förderung behinderter Frauen und Mädchen nicht angewandt werden.
Am 27. Juni 2011 veranstaltete die Grüne Bundestagsfraktion eine Konferenz anlässlich des zehnjährigen Bestehens des SGB IX. Mit der Perspektive, die Leistungen für Menschen mit Behinderung aus der Sozialhilfe zu lösen und ein eigenständiges Leistungsgesetz zu schaffen, wurde auch der kurz- und mittelfristige Änderungsbedarf diskutiert. Zentrale Forderungen haben wir nun in einem Antrag zusammengefasst.
Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, das SGB IX weiter zu entwickeln und Schwachstellen, insbesondere wenn sie Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts behinderter Menschen beinhalten, zu beheben. So muss klargestellt werden, dass die Ziele der Selbstbestimmung und Teilhabe sowie die Verfahrensvorschriften des SGB IX nicht durch Vorschriften in anderen Gesetzen ausgehebelt werden können. Das Wunsch- und Wahlrecht muss von allen Rehabilitationsträgern beachtet werden. Auch in der trägerübergreifenden Zusammenarbeit muss sich einiges verbessern. Die Gemeinsamen Servicestellen haben die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Wir fordern aus diesem Grund ihre Weiterentwicklung. Sie sollen sich auf die Bedarfserhebung und die vollständige Bearbeitung von Anträgen im Auftrag aller Rehaträger konzentrieren. Dafür ist es notwendig, dass sie eigenständig Entscheidungen treffen können. Um die Beratung von Menschen mit Behinderungen zu verbessern sind neue, unabhängige Stellen, vergleichbar der Unabhängigen Patientenberatung, zu schaffen. Das Prinzip des Peer-Counceling ist hier zu beachten. Für die Bedarfserhebung muss ein bundesweit einheitliches, an der internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) orientiertes Verfahren gelten. Der Anspruch auf Elternassistenz und andere Leistungen für behinderte Eltern ist eindeutig im Gesetz zu verankern und darf sich nicht mehr nur aus einer Generalklausel herleiten lassen. Auch die Situation von Mädchen und Frauen mit Behinderungen muss sich verbessern. Sie erhalten weniger Leistungen der beruflichen Rehabilitation als Männer und machen durchschnittlich häufiger Erfahrungen mit körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt als nichtbehinderte Frauen. Durch die Qualifizierung von Trainerinnen muss dafür gesorgt werden, dass Frauen mit Behinderungen das ihnen zustehende Recht auf Selbstbehauptungstrainings auch wahrnehmen können.
Die geforderten Maßnahmen sind ein erster Schritt zur Verbesserung des Rechts auf Rehabilitation und Teilhabe. Sie sind zügig umzusetzen. Vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention und der Erfahrungen, die in den letzten Jahren mit der Umsetzung bestehender Gesetze gemacht wurden, ist in Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderungen zu prüfen, welche zusätzlichen Anpassungen und Änderungen sich in weiteren Gesetzen ergeben. Unser mittelfristiges Ziel bleibt die Schaffung eines einheitlichen Gesetzes, dass einen einheitlichen Anspruch auf alle Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe unabhängig vom Einsatz von Einkommen und Vermögen schafft.
Meinen Debattenbeitrag finden Sie hier:
http://www.youtube.com/watch?v=PcgsLSl652I&list=UU7Cl0WvL-uoMxNNbmBFNkyw&index=1&feature=plcp
Weiter unten können Sie unseren Antrag herunterladen.
Dort finden Sie ebenfalls das Wortprotokoll der gesamten Debatte.
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