12.09.2019 – Grüne Politik, Wahlkreis
Sicher ist es den meisten noch in Erinnerung: Jüngst befand der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann, dass Kinder, die schlecht deutsch sprechen, in der Grundschule „nichts zu suchen“ hätten. Man darf getrost annehmen, dass es dem Sprecher des CDU-Wirtschaftsflügels nicht um einen Beitrag zur Bereicherung der pädagogischen Diskussion ging.Zwar beteuerte der Kollege Linnemann ob des heftigen Gegenwinds (auch aus den eigenen Reihen), eine Debatte über frühe Sprachförderung sei doch nichts Schlimmes. Tatsächlich aber gehört dieser Abgeordnete zu denjenigen Personen im demokratischen Teil des rechtskonservativen Spektrums, die daran glauben, der radikalen Rechten – einschließlich der AfD – Anhänger und Wähler abspenstig machen zu können, indem man symbolische Signale sendet. Signale, die den vermeintlich wiedergewinnbaren Wähler*innen bedeuten sollen „Wir haben verstanden. Wir denken doch auch ein Stück weit wie ihr. Auch wir sehen die Probleme.“
Die Tatsache, dass diese Methode der Anbiederung und Positionsverschiebung nach rechts bereits mehrfach gescheitert ist und diejenigen, die man schwächen wollte, eher gestärkt hat, scheint die Linnemanns, Seehofers und Maaßens dieser Republik nicht von ihrer Strategie des bewussten Setzens von Signalen abzubringen. Im Gegenteil: Je erfolgloser diese Versuche ausfallen, die Hegemonie über den rechten Rand zu gewinnen, desto mehr versuchen die genannten Personen, noch „deutlichere“ Zeichen zu setzen. Nach dem Motto: Vielleicht klappt's ja diesmal.
Ich will an dieser Stelle die unmittelbar beobachtbaren Konsequenzen jener „Strategie“ nicht weiter ausführen. Es ist in den letzten Jahren zu sehen, zu hören und zu spüren gewesen: Im Ergebnis wurde eine Rechtsverschiebung des gesamten politischen sowie gesellschaftlichen Diskurses beschleunigt. Sicher geglaubte Fortschritte, z.B. in den Bereichen Gleichberechtigung und Diskriminierungsschutz, werden in Frage gestellt oder sind sogar gefährdet. Die toxischen Risiken für die Demokratie dürften den meisten Leserinnen und Lesern hier völlig klar sein.
In der politischen Debatte um Einlassungen wie die von Linnemann reichen Empörung und Zurückweisung jedoch nicht aus. Ich fürchte, es bleibt Demokratinnen und Demokraten nicht erspart, eine öffentliche Auseinandersetzung darüber zu führen, warum eine Anbiederung an die radikale Rechte, eine symbolische teilweise Aneignung ihrer Positionen, zwingend erfolglos bleiben muss. Um im Feld der politischen Konfrontation zwischen der radikalen Rechten und der Demokratie seine strategische Position bestimmen zu können, muss man nachvollziehen, welche Vorstellung Rechtsradikale und auch Rechtsextreme von der Natur eines politischen Konflikts haben. Dazu reicht es aus, sich beispielsweise ein paar Zitate der „Führerfigur“ des ultrarechten Flügels der AfD anzusehen. Björn Höcke wählt Kriegsrhetorik: Da werden etwa innerparteiliche (!) Kritiker als „Feindzeugen“ bezeichnet. Mit Blick auf politische Gegner heißt es, man wolle „Wolf“ und nicht Schaf sein. Ausnahmslos verunglimpfen Politiker aller Strömungen der AfD alle demokratischen Parteien als „Altparteien“. Die Nähe zum Vokabular der Nazis („Systemparteien“) ist vermutlich stark beabsichtigt. Was viele der demokratischen Rechten nicht verstehen können oder nicht wahrhaben wollen: In einer so konstruierten Aufstellung der politischen Auseinandersetzung ist der herkömmliche Zweck-Mittel-Mechanismus ausgehebelt. Wo statt politischem Wettbewerb die Feindschaft als Charakteristikum gepflegt wird, sind Kompromisse oder Annäherungen nicht vorgesehen. Entsprechend müssen auch Annäherungsversuche unausweichlich scheitern. In einer Welt der totalen Antagonismen gibt es nur Sieg oder Niederlage, Machtergreifung oder Untergang. Das ist der nihilistische und in seiner ultimativen Zuspitzung geradezu nekrophile Kern des rassistischen Nationalismus. Erkennt man diese Grundstruktur der politischen Selbstverortung der radikalen Rechten, so erkennt man auch, dass die Beschreibung des Holocaustmahnmals als „Mahnmal der Schande“ oder die Bagatellisierung des Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ keineswegs Entgleisungen waren. Nein, solche scheinbaren Tabubrüche sind konstitutiv für dieKenntlichmachung und Selbstvergewisserung der „völkischen Bewegung“! Diese Einsichten nicht gehabt zu haben, hat zu der fatalen Fehleinschätzung des konservativen Bürgertums am Ende der Weimarer Republik geführt, als jenes glaubte, ein taktisches Bündnis mit den Nationalsozialisten kontrollieren zu können. Der Militärhistoriker Klaus Naumann beschreibt in einem kürzlich veröffentlichten Aufsatz („Vorbild Stauffenberg?“), dass in einer sozialdarwinistisch-rassistischen Weltanschauung „der Kampf zur normalen Daseinsform“ werde – einhergehend mit dem Verlust jeglicher Fähigkeit, Frieden zu schließen. Es war diese Erkenntnis, welche die Verschwörer des 20. Juli 1944 wesentlich zur Tat trieb – nicht die Liebe zur Demokratie.
Natürlich sind Parallelen zum Hitlerfaschismus nicht leichtfertig zu ziehen. Wenn aber in der Selbstwahrnehmung der heutigen „völkischen Bewegung“ Gleichartigkeiten zu derjenigen im vergangenen Jahrhundert zu beobachten sind, wäre es für Demokratinnen und Demokraten – und zu denen zählt zweifellos auch Carsten Linnemann -jedoch fahrlässig, aus diesen nicht die notwendigen strategischen Schlussfolgerungen zu ziehen.
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