13.11.2015 – Rentenpolitik
Kurzbewertung des Abschlussberichts der Koalitionsarbeitsgruppe „Flexible Übergänge vom Erwerbsleben in den Ruhestand“ von Markus Kurth
Unflexible Koalitionspartner – kaum Chancen für flexible Rentenübergänge
Die Koalitionsarbeitsgruppe „Flexirente“ hat nach monatelangen Gesprächen am 10. November 2015 nun doch noch ihren Abschlussbericht vorgelegt. Die Arbeitsgruppe wurde im Rahmen der Verabschiedung des Rentenpakets eingesetzt und war insbesondere ein Wundpflaster für den Wirtschaftsflügel der Union. Diesen schmerzte die Verabschiedung der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren („Rente ab 63“) und er hoffte, mit einer Debatte über ein Weiterarbeiten über die Regelaltersgrenze hinaus ein Gegengewicht setzen zu können. Die Arbeitsgruppe hatte allerdings insgesamt den Auftrag, die flexiblen Übergänge sowohl nach als auch vor der Regelaltersgrenze zu erweitern.
Nicht nur angesichts der aufgeladenen Bedeutung jener Arbeitsgruppe (jedenfalls aus Sicht der Mittelstandspolitiker der Union) müssen die Ergebnisse als enttäuschend bezeichnet werden. Zwar gehen die Regelungen zur Prävention und Rehabilitation in die richtige Richtung. Die vorgeschlagenen Änderungen verlieren sich insgesamt aber in kleinen Regeländerungen und erreichen daher im Ergebnis nur eine kleine Gruppe der Beschäftigten. Die Grüne Bundestagsfraktion hatte bereits im Sommer 2015 einen umfassenden eigenen Vorschlag unterbreitet, wie es zu einer umfassenden Flexibilisierung des Übergangs in die Rente kommt (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/052/1805212.pdf).
Zu den Ergebnissen im Einzelnen:
I. Flexibleres Arbeiten vor 67:
a) Die Renteninformation soll um Informationen über die Anwartschaften sowie um bestehende und neue Gestaltungsmöglichkeiten beim Übergang in den Ruhestand ergänzt werden. Dies wird von uns ausdrücklich begrüßt.
b) Die Teilrente soll künftig stufenlos in Anspruch genommen werden können. Auch dies wird von uns begrüßt, da die bisherige starre Zuverdienstregelung zu unverhältnismäßigen Kürzungen der Rente führen konnte. Das Festhalten an der bisherigen Altersgrenze von 63 Jahren halten wir indes für wenig hilfreich, die Inanspruchnahme der Teilrente zu fördern. Wer freiwillig bereits vor dem 64. Lebensjahr, das heißt auch unter Inkaufnahme teils hoher Abschläge, in die Rente wechseln möchte, sollte hierzu die Möglichkeit erhalten. Anders als bei der abschlagsfreien Rente nach langjähriger Versicherung („Rente ab 63“) werden bei diesem Vorschlag keine zusätzlichen finanziellen Anreize für einen früheren Austritt aus dem Erwerbsleben geschaffen. Die Möglichkeit, die Arbeitszeit in Kombination mit einer Teilrente schon früher als heute zu verringern, sollte unter dem Strich dazu führen, dass Beschäftigte ihre Arbeitsbelastung anpassen und länger am Arbeitsleben teilhaben können. Der Hinzuverdienst bei der Teilrente soll nach dem Willen von Union und SPD bis zu einem Freibetrag von 450,- Euro anrechnungsfrei bleiben - jeder weitere Euro wird zu 40% auf die Rente angerechnet. Dies gilt bis zur maximalen Hinzuverdienstgrenze, die sich am höchsten Jahreseinkommen der vergangenen fünfzehn Kalenderjahre vor Rentenbeginn orientiert. Diese Veränderung stellt zwar eine Verbesserung gegenüber dem Status quo dar, doch wollen wir auf eine Anrechnung bis zur maximalen Hinzuverdienstgrenze ganz verzichten. Das sah auch der Vorschlag von der Leyens aus der letzten Legislaturperiode vor.
c) Diese neuen Hinzuverdienstregelungen sollen auch auf die Erwerbsminderungsrente übertragen werden. Dies unterstützen wir grundsätzlich.
d) Künftig soll es schon ab dem 50. Lebensjahr möglich sein, zusätzliche Beiträge an die Rentenkasse zu zahlen, um mögliche spätere Abschläge für einen (Teil-)Rentenbezug oder vorzeitigen Rentenbezug auszugleichen. Zudem kann die Zahlung im Gegensatz zu heute auch in Teilzahlungen erfolgen. Diese erweiterten Möglichkeiten bewerten wir positiv, wenngleich nicht ersichtlich ist, warum die Altersgrenze für die zusätzliche Beitragszahlung weiterhin Bestand hat. Wir wollen freiwillige Beitragszahlungen zum Ausgleich von Abschlägen jederzeit zulassen.
e) Die SPD konnte sich mit ihrem Konzept eines Alterssicherungsgeldes nicht durchsetzen. Das ist schade, könnte doch für gesundheitlich beeinträchtigte Personen bei drohender Arbeitslosigkeit deren Arbeitslosengeld in einen Lohnersatzausgleich umgewandelt werden. So wäre gewährleistet, dass Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer für eine verringerte Arbeitsleistung einen dauerhaften Nachteilsausgleich erhielten. Die Festschreibung eines Prüfauftrages an das Bundesarbeitsministerium ist nichts weiter als eine Beerdigung zweiter Klasse.
Tatsache bleibt: Die vorgeschlagenen Änderungen reichen nicht aus, um tatsächlich alle Beschäftigte in die Lage zu versetzen, selbst über ihren Rentenübergang entscheiden zu können. Insbesondere die teils hohen Abschlagszahlungen stellen hier ein Problem dar sowie der Umstand, dass das Recht auf Teilzeit zu selten umgesetzt werden kann. Hier bedürfte es konkreterer Schritte – insbesondere für die gesundheitlich beeinträchtigten Beschäftigten (siehe o.g. Antrag von Bündnis 90/Die Grünen).
II. Prävention und Rehabilitation
a) Der medizinische Rehabilitationsbedarf soll frühzeitiger identifiziert werden, etwa durch die Nutzung von Screeningverfahren der Deutschen Rentenversicherung. Dies ist sinnvoll.
b) In einem beschränkten Modellversuch (5 Jahre) sollen einige regionale Rentenversicherungsträger eine „abholende“ Präventions- und Rehastrategie testen. Dies begrüßen wir. Die Frage wird hier sein, wie diese Strategie aussieht und welche Akteure bei der Umsetzung mit ins Boot geholt werden.
c) Die Deutsche Rentenversicherung soll ihm Rahmen der nationalen Präventionsstrategie individuelle berufsbezogene Gesundheitschecks einführen. Auch hierfür sollen Modellvorhaben initiiert werden. Es ist richtig und wichtig, der DRV im Bereich der Prävention größeres Gewicht zu geben. Nachhaltig und gesünder ist es aber erst dann, wenn die individuellen berufsbezogenen Gesundheitschecks und vor allem deren Ergebnisse Eingang in die Strukturen der Arbeitswelt finden. Es geht nicht nur um individuelle Verhaltensprävention, sondern auch um Veränderungen der Lebenswelten („Settingansatz“).
d) Die Präventionsleistungen der Deutschen Rentenversicherung sollen nicht mehr auf bestimmte Personengruppen beschränkt bleiben. Dieser Vorschlag ist sinnvoll.
e) Teilweise Erwerbsgeminderte sollen eher als bisher Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten. Hier wird die konkrete Ausgestaltung darüber entscheiden, ob tatsächlich die Zahl der sog. Arbeitsmarktrenten zurückgeht.
f) Die Ausgabenbegrenzung der sonstigen Reha-Leistungen innerhalb des sog. Reha-Budgets soll wegfallen. Das ist nicht uns nicht weitgehend genug. Wir fordern seit Jahren den Wegfall des so genannten Reha-Deckels.
g) Auch kleine Unternehmen sollen von Qualifizierungsmaßnahmen der Arbeitsagentur profitieren. Daher soll die Erfordernis der Ko-Finanzierung für diese entfallen. Das halten wir für sinnvoll.
Insgesamt sind die Vorschläge sicherlich zu begrüßen. Nicht angesprochen werden aber eine ausreichende Finanzierung der betrieblichen Gesundheitsförderung, der beruflichen Rehabilitation ebenso wie eine Anti-Stress-Verordnung und eine spezielle Arbeitsschutzstrategie gegen psychische Erkrankungen. Der Gesetzgeber wird es auf diesem Feld aber nicht allein richten können: Die Arbeitgeber – und hier gerade die kleinen und mittleren Unternehmen – investieren viel zu wenig in alterns- und altersgerechte Arbeitsplätze, betriebliches Gesundheitsmanagement, die Qualifikation von älteren Beschäftigten und den Umbau betrieblicher Abläufe und Strukturen, um physische und psychische Belastungen zu vermeiden. Gesundheitsförderung muss auf Stressreduktion und auf gesunde Ernährung und Bewegung gleichermaßen setzen.
Für die Bezieherinnen und Bezieher einer Erwerbsminderungsrente fordern wir die Abschaffung der Abschläge, wenn es der Bezug einer Vollrente rein medizinischen Gründe hat. Für die Personen mit einer teilweisen Erwerbsminderungsrente ist vor allem der schlechte Teilzeitarbeitsmarkt ein Problem. Hier bedarf es mehr Bemühungen, um diesen Menschen echte Angebote zu machen.
III. Flexibles Arbeiten nach 67:
a) Die Rentenbeiträge angestellter Rentnerinnen und Rentner sollen künftig dann rentensteigernd wirken, wenn auch die Beschäftigten freiwillig Beiträge verrichten. Hier hätte die Koalition unseres Erachtens etwas mutiger sein können. Wir sind der Auffassung, dass gezahlte Beiträge immer die Rente erhöhen müssen, egal wer sie zahlt.
b) Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sollen abgeschafft werden, allerdings vorerst nur für die kommenden fünf Jahre. Danach soll dieser Schritt evaluiert werden. Auch wenn es sich momentan nur um einen kleinen Betrag von 1,5 % des beitragspflichtigen Entgelts handelt, sind wir gegen die Abschaffung der Arbeitgeberbeiträge. Wie auch das Arbeitsministerium sind wir der Auffassung, dass eine komplette Streichung zu Wettbewerbsverzerrungen auf dem Arbeitsmarkt führen kann. Es käme es zu einem Kostenvorteil für Arbeitgeber, die gezielt Beschäftigte nach Erreichen der Regelaltersgrenze bzw. bei Bezug einer Altersvollrente ohne Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung anstellen (siehe Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Frage von Markus Kurth, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/009/1800946.pdf, Frage 41). Alles in allem sehen echte Anreize zum längeren Arbeiten anders aus.