Für ein Signal an die Wirtschaft verschließt das Arbeitsministerium die Augen vor den Problemen einer längeren Arbeitszeit
Anstatt sich ernsthaft mit den Problemen einer verlängerten Lebensarbeitszeit für einzelne Beschäftigungsgruppen auseinanderzusetzen, fährt das Arbeitsministerium eine altbekannte Strategie nach dem Motto „business as usual“. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen hervor. An der Rente mit 67 wird starr festgehalten ohne den Bezug zum Arbeitsumfeld herzustellen. Echte Bemühungen zur Verbesserung der Beschäftigung Älterer sind nicht zu erkennen. Darin unterscheidet sich Andrea Nahles nicht von ihren Vorgängern im Amt.
Dabei liegen die Probleme auf dem Tisch. Die Beschäftigungsquote der 60-64Jährigen liegt weiterhin nur bei 32,4 Prozent, bei Frauen sogar nur bei 27,9 Prozent. Zwar hat sich die Beschäftigungsquote Älterer von 18,4 Prozent im Jahr 2007 um 14 Prozent fast verdoppelt. Nicht zuletzt durch die Rente ab 63 wird die Beschäftigungsquote Älterer allerdings verringern. Zwar haben sich die Erwerbstätigen- und Erwerbsquoten seit dem Jahr 2007 deutlich verbessert. Je näher das Alter jedoch an die 65 rückt, desto schlechter sieht die Arbeitsmarktsituation aus. Liegt etwa die Erwerbstätigenquote der 60Jährigen noch bei fast 67 Prozent, so stehen nur 31,3 Prozent der 64-Jährigen in Lohn und Brot. Unter Frauen sind es sogar nur 24,1 Prozent.
Die Erhöhung der Regelaltersgrenze kommt für solche Beschäftigtengruppen einer Rentenkürzung gleich, die aus verschiedenen Gründen keine Chance haben, die neue Regelaltersgrenze zu erreichen. Dies kann insbesondere schwerbehinderte, (langzeit-)arbeitslose, erwerbsgeminderte und/oder leistungsgeminderte Personen betreffen. So zeigt die Antwort der Bundesregierung, dass gerade hier die größten Probleme liegen. Von den 60-64-Jährigen mit Behinderungen ist noch nicht einmal jeder Vierte erwerbstätig (Antwort auf Frage 32). Rund 135.000 Personen unter 65 Jahren erhalten eine so niedrige Erwerbsminderungsrente, dass sie auf Sozialhilfe angewiesen sind (Antwort auf Frage 34). Von den 60-64-Jährigen Erwerbspersonen waren über 300.000 Personen langzeitarbeitslos (Antwort auf Frage 36). Zur Zahl der Menschen mit Leistungseinschränkungen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können, liegen der Bundesregierung zwar keine Angaben vor. Die Diskussion um die flexiblen Rentenübergänge indes zeigt, dass es hier dringenden Forschungs- wie auch Handlungsbedarf gibt (Antwort auf Fragen 38 und 39). Es ist zu wenig bekannt über die Zeit zwischen gesundheitsbedingtem Erwerbsaustritt und Rentenzugang.
Mit der „Augen-zu-und-durch“-Strategie der Bundesregierung wird gleichzeitig eine alte Position der SPD geräumt. So hieß es noch im SPD-Regierungsprogram zur Bundestagswahl 2013, dass die Rente mit 67 so lange ausgesetzt werden solle, bis mindestens die Hälfte der 60- bis 64-jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Auch wenn sich über die Sinnhaftigkeit einer solchen Forderung trefflich streiten lässt, so war die Problemanalyse doch klar und eindeutig: Wir müssen deutlich mehr für die Beschäftigung Älterer unternehmen.
Stattdessen wird einseitig auf die Notwendigkeit einer Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters verwiesen. Auf Grund der hohen Ausgaben durch das Rentenpaket ist ein Aussetzen der Rente mit 67 überhaupt nicht mehr möglich, weil ansonsten die gesetzlichen Sicherungsziele nicht mehr zu erreichen wären. Die Rente mit 67 hingegen entlastet den Beitragssatz um insgesamt 0,5 Prozentpunkte, während das Sicherungsniveau vor Steuern um 0,6 Prozentpunkte höher ausfällt (Antwort auf Frage 8).
Zwar gibt es seitens des Arbeitsministeriums Bemühungen, die Situation der Langzeitarbeitslosen zu verbessern (Antwort auf Fragen 38 und 39). Diese sind allerdings mit zu wenigen Mitteln hinterlegt, als dass sich nachhaltig etwas ändern wird. Auch die Diskussion um bessere Zuverdienstmöglichkeiten bei der Teilrente lassen ein gewisses Problembewusstsein erkennen. Die eigentlichen Probleme der geringen Inanspruchnahme, d.h. die hohe Altersgrenze mit 63 Jahren sowie die sehr hohen Abschläge auf die Teilrente, werden bei der Arbeit der Koalitionsarbeitsgruppe allerdings kaum berücksichtigt.
Hintergrund:
Die Bundesregierung ist verpflichtet, mit Beginn des Jahres 2010 alle vier Jahre einen Bericht vorzulegen, der die Beschäftigungssituation Älterer darstellt sowie eine Einschätzung darüber abgibt, „ob die Anhebung der Regelaltersgrenze unter Berücksichtigung der Entwicklung der Arbeitsmarktlage sowie der wirtschaftlichen und sozialen Situation älterer Arbeitnehmer weiterhin vertretbar erscheint und die getroffenen gesetzlichen Regelungen bestehen bleiben können“ (gemäß § 154 Absatz 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – SGB VI). Der nächste Bericht ist für Ende November 2014 angekündigt. Die SPD-Bundestagsfraktion ist in der vergangenen Legislatur vehement dafür eingetreten, diese „Überprüfungsklausel“ mit ganz konkreten Kriterien zu unterlegen. Von einer Umsetzung dieser Forderung ist wohl kaum auszugehen.
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