10 Jahre ist es her, als auf Grundlage eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses und mit wesentlicher Hilfe der Behindertenbewegung die damalige rot-grüne Bundesregierung das Neunte Buch Sozialgesetzbuch IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen schuf.
Das Gesetz fasste die sozialrechtlichen Ansprüche für Menschen mit Behinderungen zusammen und ordnete sie neu. Ziel war die Zusammenarbeit in der Leistungserbringung zu verbessern und mehr Kooperation zwischen den Leistungsträgern herbeizuführen,
Zum Jubiläum lud die Grüne Bundestagsfraktion und ihr behindertenpolitischer Sprecher Markus Kurth am 27.06.2011 zu einer Konferenz in Berlin. Über 100 TeilnehmerInnen diskutierten mit Abgeordneten der Bundestagsfraktion über das Gesetz selbst sowie über den Stand seiner Umsetzung.
Als erstes kamen Menschen mit Behinderung selbst zu Wort. Nach dem Motto „Nichts über uns, ohne uns“ schilderten sie ihre Erfahrungen. Sehr schnell wurde deutlich, dass Menschen mit Beeinträchtigungen zwar noch immer vielfältig an ihrer Teilhabe gehindert werden, die Ursachen dieser Behinderungen aber meist nicht im Gesetz selbst, seiner Ausrichtung und seinen Zielen zu verorten sind, sondern in dessen Umsetzung.
Das gilt für die Verwirklichung der Komplexleistung Frühförderung ebenso wie für die nahtlose trägerübergreifende Zusammenarbeit, die Arbeit der gemeinsamen Servicestellen oder die Gewährleistung von Selbstbehauptungskursen für Frauen und Mädchen mit Behinderung. Die Berichte von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen im ersten Teil der Veranstaltung machten überdeutlich, dass bei der Beantragung von Leistungen Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen leider noch viel zu häufig sehr nötig sind. Ob eine erforderliche und gewünschte Leistung tatsächlich auch im erforderlichen Maße erbracht wird, hat leider und nicht nur manchmal auch mit dem Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort zu tun.
Das Missachten konkreter gesetzlicher Regelungen lässt sich nach zehn Jahren nicht mehr mit Anlaufschwierigkeiten erklären. Dementsprechend wurden im zweiten Teil der Konferenz sowohl kurz- und mittelfristige Verbesserungsmöglichkeiten des SGB IX als auch die langfristige Perspektive – ein Leistungsgesetz, das konsequent einem menschenrechtlichen Ansatz folgt und vom Fürsorgesystem gelöst ist – diskutiert. Diesem Ziel kann man nur schrittweise näher kommen. Markus Kurth schlug vor, zunächst die gemeinsamen Servicestellen mit Entscheidungskompetenzen auszustatten, so wie es bereits in der Erarbeitung des SGB IX diskutiert wurde. Auf diese Weise könnten sie tatsächlich als einheitliche Anlaufstellen wirken, die kompetent beraten und Rechtsansprüche endgültig klären. Sigrid Arnade erläuterte die Bedeutung der Aufnahme der Pflegekassen in den Kreis der Rehabilitationsträger. Aus Verbändesicht sei es darüber hinaus sehr wichtig, das Verbandsklagerechts zu erweitern und einen Rechtsmittelfonds bereitzustellen. Auch die Einführung von Sanktionen für Rehabilitationsträger, die ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkommen, stand zur Debatte. Grundsätzlich ist die Nachrangigkeit des SGB IX gegenüber anderen Sozialgesetzbüchern Ursache einer Reihe von Problemen der Betroffenen, darauf wies Martina Puschke hin.
Mit Blick auf langfristige Perspektiven diskutierten die TeilnehmerInnen mit Dr. Andreas Jürgens und Klaus Lachwitz den Vorschlag des Forums behinderter Juristinnen und Juristen für ein Gesetz zur sozialen Teilhabe. Klaus Lachwitz stellte immer wieder Verbindungen zur UN-Behindertenrechtskonvention und erläuterte ihre Auswirkungen auf die Weiterentwicklung des SGB IX.
Die Veranstaltungen gab viele Anregungen von Menschen mit Behinderungen und ihrer Verbände, das SGB IX weiterzuentwickeln und die Praxis an die Norm des SGB IX näher heranzuführen. Eine ausführliche Dokumentation folgt im Laufe der nächsten beiden Wochen.
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